
Ein Heim in der Fremde
- August 15, 2013
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Bei der Wahl einer passenden Destination schweifen wir diesmal in die Ferne. Es geht nach Marrakesch, und das mit allem erdenklichen Komfort britischen Fahrzeugbaus. Nur eines würden wir beim nächsten Mal anders machen – mehr Zeit einpacken Auffälliger geht es kaum. Das haben wir schon auf der ganzen Anreise gemerkt und es wird uns hier, am südlichsten europäischen Grenzposten in Ceuta, nochmals deutlich vor Augen geführt. Schliesslich fahren wir 13 Meter des glänzendsten, mit insgesamt 215 000 Franken aber auch teuersten Aluminiums, das man derzeit auf Rädern kaufen kann. Der neue Range Rover ist in Marokko noch völlig unbekannt und auch die silberne Riesenpille im Schlepptau dürfte hier noch nicht allzu oft gesichtet worden sein…
Nach einer etwas längeren Fahrzeug- und Ausweiskontrolle verlassen wir diesen europäischen Zipfel und sind gleich mittendrin im nordafrikanischen Getümmel – um uns herum verbeulte Autos, die ausschliesslich aus den 80ern stammen, dazwischen ein paar Eselkarren und Fahrräder. In unserem Edelschlitten ist das ein Kulturschock, auch für die anderen. Es geht zunächst nur im Schritttempo voran, und das vollkommen geräuschlos – die Laufruhe des Range-Motors und seine Doppelverglasung lassen die Welt um uns herum noch surrealer erscheinen. Keine Frage: Mit dem intelligentesten Wohnwagen der Welt, gezogen vom derzeit modernsten, elegantesten Geländewagen, sind wir auf unserer Tour äusserst privilegiert unterwegs. Der Trip war von langer Hand vorbereitet worden und beruhte auf einer Frage: Schon der alte Range Rover ist ein ziemlich gutes Zugfahrzeug gewesen, aber wie würde sich der neue anstellen, mit einem immerhin 2,4 Tonnen schweren Luxus-Wohnwagen am Haken? Bei Land Rover in Solihull fand man Gefallen an unserer Idee und stellte uns mit dem 4.4 SDV8 einen bestens motorisierten Testwagen zur Verfügung.
In gewissem Sinne handelt es sich bei unserem «Roadtrain» um ein britisches Gespann, denn der US-amerikanische Hersteller Airstream (siehe S. xx) hat seine Wohnwagen über die letzten paar Jahre hinweg im Lake District direkt an der M6 bei Tebay entworfen und produziert. Unser Modell heisst International 684 und bildet die Speerspitze des aktuellen Angebots. Wie es sich für die Kultmarke gehört, zeigt auch der 684 (die Ziffern beziehen sich auf die Länge von 6,8 Meter und die Anzahl der Betten) aussen poliertes Alu; allein moderne Leichtmetallfelgen sind ein optisches Zugeständnis an die Gegenwart. Von innen erinnert der Airstream an die Suite eines kleinen Luxushotels: Komfort ist Trumpf und das Leder in unserem Demo-Modell knallrot, worüber man sich streiten mag (natürlich kann jede andere nur denkbare Farbe bestellt werden). Die Verarbeitung macht Freude; an Bord sind Arbeitsplatten aus schickem Corian oder ein riesiger Flachbildfernseher. Trotz der Tatsache, dass man mittlerweile einen noch breiteren 684 (2,5 Meter im Vergleich zu unserem 2,3-Meter-Modell) kaufen kann, ist unser Airstream innen sehr geräumig. Achtern im Heck steht ein vollwertiges Doppelbett mit viel Stauraum drum herum; dazu kommt eine gut proportionierte Nasszelle. Mittschiffs ist eine Bordküche mit genügend Ausstattung untergebracht, um auch eine grössere Gruppe satt zu kriegen. Ganz vorne befinden sich der Esstisch und ein Sofa, das man mit wenigen Handgriffen in ein weiteres Doppelbett umfunktionieren kann.
Wenn man unabhängig bleiben und von einem Kontinent zum anderen fahren will, gibt es wohl nichts Besseres als den Airstream. Schon gar nicht, wenn vorne ein Range mit elektrisch ausfahrbarer Kupplung zieht. Unser Roadtrip begann im pulsierenden Land-Rover-Werk Solihull, dessen Selbstbewusstsein auch Beweis ist für die sehr lebendige und gute Autoindustrie in Grossbritannien. Von dort aus fuhren wir bei strömendem Regen auf der M40 Richtung Süden bis nach Portsmouth, um uns einzuschiffen. Bei normaler Reisegeschwindigkeit dreht der 339 PS starke Turbodiesel des Top-Range nur knapp über 1000 Touren. Und obwohl die ganze Fuhre rund fünf Tonnen auf die Waage bringt, gab es keine Steigung, die uns gezwungen hätte, langsamer zu werden. Okay, so geschah es im seichten England, aber ganz im Ernst: Der neue Range Rover zieht so mühelos davon, dass man ab und an vergessen mag, dass hinten noch etwas dranhängt.
In Portsmouth parkten wir auf einer Brittany-Fähre, die uns nach Santander bringen und so runde 1000 Kilometer Strasse einsparen würde. Schliesslich waren es die Strecken im Süden, auf die wir uns freuten! Die Fähre selbst ist zu empfehlen; sie hat elegante Restaurants an Bord, mehr als akzeptable Kabinen, WLAN und sogar Handyempfang. Doch nach zwei Nächten und 33 Stunden auf See waren wir wieder Asphalt-reif. Am Flughafen Bilbao stieg unser Fotograf Matt ein und hatte auch schon Pläne für erste Bilder. Doch keiner von uns war auf die Schönheit dieses Küstenabschnitts gefasst.
Unser erstes Ziel lag in den Bergen: Das Weingut und Hotel Marqués de Riscal ist ein atemberaubendes Gebäude, designt von Frank Gehry, dessen exzessiver Verbrauch an Aluminium international bekannt ist. Diese Parallelen zum neuen Range und unserem Wohnwagen machten den Ort zur adäquaten Foto-Location. Und während die Sonne unterging, diskutierten wir bei einer schönen Flasche Rioja, dass wir in weniger als 36 Stunden schon in Marokko sein und bereits in sechs Tagen wieder durch Spanien zurückfahren würden…
Unsere Airstream-Premiere fand auf dem Campingplatz Fuentes Blancas in Burges statt, den wir in stockdunkler Nacht und bei eisiger Kälte erreichten. Nachdem wir die Stützen fixiert, unser Abwassersystem angeschlossen und die Heizung angeworfen hatten, zogen wir los – um noch mehr Rioja und etwas zu essen zu kaufen.
Noch vor Sonnenaufgang waren wir wieder unterwegs, denn bis zum nächsten Nachtlager galt es, knapp 900 Kilometer abzuspulen. Die sagenhaften spanischen Autobahnen bilden die perfekte Umgebung für den Range Rover. Dank seinem überragenden Fahrwerk, dessen Luftfederung alles glattbügelt, was nicht glatt ist, gleitet er wie auf Wolken dahin. Auf der Iberischen Halbinsel gibt es streckenweise aber auch legendäre Schlaglöcher und wir haben einige gesehen, jedoch nie gespürt. Und dann, auf einer Höhe von circa 1000 Meter über dem Meeresspiegel, schwächelte der Range erstmals: Während einer besonders langen und schwierigen Steigung schaffte er es nicht, die programmierte Geschwindigkeit des Tempomaten zu halten. Also gab ich Gas, aber etwas zu viel – und schon schoss unser Gespann nach vorne, als gäbe es kein Morgen. Das satte Drehmoment von 700 Nm ist in Kombination mit der Achtgang-Automatik schon eine Klasse für sich. Als wir die andere Seite des Berges wieder hinunterfuhren, nahmen wir heftige Seitenwinde wahr, was uns kurz beunruhigte. Der serienmässige Stabilitätsassistent des Range Rover bremst jedoch jedes einzelne Rad gefühlvoll ab, um Schlingern zu verhindern, bevor es überhaupt beginnt. Grossartig!
Den zweiten Camp-Platz erreichten wir erneut im Dunkeln und stellten begeistert fest, dass man über die Strasse von Gibraltar hinweg schon die Lichter Afrikas sehen konnte! Wenige Stunden später, nach einer kurzen Fährpassage, erreichten wir die spanische Enklave Ceuta.
Und jetzt sind wir tatsächlich hier, parken den Range, schliessen ihn gut ab, klettern einen Hügel hinauf und geniessen den Augenblick. Dann geht es weiter, es wird bergiger als bisher, doch der Range gibt sich unbeeindruckt. Marokkanische Strassen sind generell in keinem sehr guten Zustand, jedoch kaum schlechter als einige britische. Wir bleiben zunächst auf der Autobahn Richtung Rabat und Casablanca, wo wir auch erstmals tanken. Die Raststätte ist aufgeräumt und sauber, der Sprit unglaublich billig. Vor der Weiterfahrt unterhalten wir uns noch mit dem Fahrer eines in Genf registrierten Pinzgauer und erfahren, dass er ein Arzt und auf dem Weg nach Malawi ist. Sein Fahrzeug sieht aus wie das unbequemste Transportmittel aller Zeiten. Beeindruckt von den Nehmerqualitäten und der Furchtlosigkeit dieses Mannes entern wir demütig unsere Luxussänfte mit den beheiz- oder kühlbaren Massagesitzen plus Landyacht im Schlepptau.
Weiter geht’s durch den Norden des Landes, das hier tatsächlich aussieht wie Norditalien. Einziger Unterschied: Auf den Wiesen am Strassenrand grasen keine Kühe, sondern Kamele. Kurz vor Rabat beschliessen wir aus gutem Grund, die engen Strassen der Stadt zu meiden, und steuern direkt unseren nächsten Campingplatz Océan Bleu an, der direkt am Strand von Mohammedia ausserhalb Casablancas liegt. Dort hat bereits ein Paar aus Cornwall samt Baby sein Zelt aufgeschlagen: Es will mit seinem Allrad-Camper gen Süden und mal schauen, wohin der weitere Weg sie führen wird. Ein anderer Brite trifft mit einem Motorrad ein, das er kürzlich für 150 Euro gekauft hat. Jetzt will er es wissen – Sahara und zurück. Als wir seine karge Ausrüstung sehen, kommen wir uns schon etwas verweichlicht vor. Doch beim Anblick der örtlichen sanitären Anlagen sind wir wieder sehr froh, unsere eigene dabei zu haben…
In der Frühe servieren wir dem Biker eine Tasse guten englischen Frühstückstees sowie Toast und Marmite, dann brechen wir auf. Marrakesch ruft und die Landschaft wird immer beeindruckender. Obwohl wir weiterhin auf der Mautstrasse unterwegs sind – sie ist den meisten Einheimischen zu teuer und deswegen sehr leer –, kriegen wir viel von der Umgebung mit. Häuser aus roten Ziegelsteinen und kleine Schafherden säumen die Strecke auf unserem Weg, als es immer sandiger und steiniger wird. Kurz vor der knapp tausendjährigen Metropole nimmt der Verkehr wieder zu: Teils hupende Taxis versuchen sich zwischen Range und Airstream zu drängen, schwer beladene Mopeds mit einer kompletten Familie samt Wocheneinkauf hinten drauf jonglieren im Zentimeterabstand um uns herum. Es ist Stress pur und wir sind froh, einen geeigneten Parkplatz zu erreichen. Von dort aus besuchen wir die historische Altstadt zu Fuss, doch unser tatsächliches Ziel liegt noch etwas weiter südlich: Es ist das Atlasgebirge, welches sich ungefähr 40 Kilometer südlich von Marrakesch in schwindelerregende Höhen erstreckt. Also lassen wir die Ebene und das bunte Treiben hinter uns. Mit Einbruch der Dunkelheit suchen wir uns am Fuss der Berge einen geeigneten Rastplatz und machen es uns im Airstream gemütlich, der schon ein vertrautes Zuhause geworden ist.
Früh am nächsten Morgen gilt es, den nicht nur geografischen Höhepunkt unserer Reise zu erklimmen. Der Weg wird anspruchsvoller und steiler, auch die Beschaffenheit der Menschen und des Bodens verändert sich. Einheimische grüssen uns mit einem würdevollen, fast feierlichen Nicken, wenn wir an ihnen vorbeifahren. Das tun wir immer langsamer, denn die Pisten werden enger und kurviger, während es auf einer Seite oftmals ungesichert in die Tiefe geht. Und dann erreichen wir den Gipfel in Oukaimeden, einem kleinen Ort auf 2700 Meter Höhe. Neben der kleinen Militärbasis ist er besser bekannt für sein Skigebiet.
Das Panorama ist sensationell. Trotzdem werden wir etwas wehmütig, denn Oukaimeden ist auch der Wendepunkt unseres ausschweifend-dekadenten Luxus-Trips. Von nun an geht es wieder 3000 Kilometer zurück, also richten wir unser Gespann am nächsten Tag Richtung Nordwesten aus. Schon zur Mittagszeit haben wir Marrakesch passiert, erneut Wüste erreicht – und rekapitulieren mit Cruise Control: viel erlebt in den letzten Tagen! Es waren derer zu wenige und alle sind sich einig, dass unser exzellentes Gespann eigentlich längere Ferien und noch mehr Abenteuer verdient hätte. Den Kilometer-Marathon steckt das Material jedenfalls klaglos weg; auch für uns Passagiere ist es ein Spaziergang. Am Ende werden wir 836 Liter Diesel verbraucht haben – ein guter Wert für unseren «Road Train». Allein nächtliche Etappen durch Nordafrika können wir niemandem empfehlen – sie sind gespickt mit komplett unbeleuchteten Eselkarren und Schlaglöchern von der Grösse eines Kleinwagens. Aber auch das schaffen wir, bevor am Horizont wieder die Alte Welt vor uns auftaucht. Was wir gerne dorthin mitnehmen würden? Den marokkanischen Himmel!
Fotos: Matthew Howell, Ben Samuelson, Marqués de Riscal