
Eine Freundschaft fürs Leben
- Oktober 9, 2012
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Der Mercedes G ist das Auto für die Ewigkeit. Oder mindestens für dreissig Jahre Wir sind mit einer Legende verabredet. Mit einem Fahrzeug, wie es in der Wegwerfgesellschaft keines mehr gibt. Ersonnen vor knapp vier Jahrzehnten und konstruiert für die Belastungen einer Expedition in das Innere des Kraters Krakatao, kraft seines Alters schon mehrmals modellgepflegt und von innen nach aussen renoviert, wie es der Stand der Technik forderte, und dabei im Kern geblieben, wie es immer war: Das G-Modell von Mercedes-Benz scheint gebaut für eine automobile Ewigkeit und ist geeignet, als gern akzeptierte Erbmasse vom Vater auf den Sohn und dann später auf dessen Sohn überzugehen. Ja, das G-Modell ist ein Wagen für den Generationenvertrag. Und gleichzeitig Beispiel für Nachhaltigkeit, die man nicht mit immer neuen Modellen erreicht.
Zur Legende wird ein Automobil nicht aus strategischer Berechnung. Dieser Titel fällt einer Baureihe zu oder nicht. Dazu gehören eine eiserne Gesundheit, Abenteuer und Anekdoten, belastbare Eigenschaften, ein Charakter aus Verzicht und Vergnügen sowie eine gewisse Arroganz im Auftreten und vor allem eine unerhörte Vorsicht bei der Akzeptanz modischer Attribute. Aber auch eine ruhige Klarheit im Wesen und jene Entschlossenheit, die weder Geröll noch den Teufel fürchtet und weder vor dem Boulevard der Eitelkeiten noch vor den banalen Einsätzen der Bourgeoisie zurückschreckt. Die beste Eigenschaft des G-Modells: Das kastenförmige Vehikel kann alles. Seit jeher. Die Basis seines Langzeiterfolgs war die Konzeption für den Einsatz jenseits aller Strassen, worauf noch eingegangen wird. Allerdings haben sich die Schwerpunkte in seinen Eigenschaftswertungen und in seinen Einsatzgebieten im Laufe eines biblischen Lebens deutlich verschoben. Das belegt schon der Hinweis auf eine mild veränderte Namensgebung: Aus dem G-Modell wurde in der modischeren Nomenklatur des Herstellers die G-Klasse. An der Klasse des G-Modells hat sich dadurch nichts geändert. Es ist nach Meinung von Experten und Fans noch immer der beste Geländewagen der Welt. Heute nur mit mehr Schmalz und Seide und Pomp denn je zuvor.
Die alte Weisheit, der Krieg sei der Vater aller Dinge, gilt für die G-Klasse in gemässigtem Umfang. Anfang der siebziger Jahre des vorigen Jahrhunderts kam der letzte Schah von Persien auf die Idee, in der Armee seines Landes möge doch bitte ein moderner Geländewagen Dienst tun. Dass diese Vorstellung bei Mercedes-Benz umgesetzt wurde, ereignete sich vor dem Hintergrund eines Engagements von Persien (aus dem alsbald der Iran werden sollte) mit einer netten Aktienbeteiligung am Kapital des im Schwäbischen logierenden, aber global agierenden Unternehmens. Der Schah wurde von der Revolution weggespült, aber die Idee vom Geländewagen überlebte. Vielleicht war das schon ein erster Hinweis auf das lange Leben des G.
Denn die Schweizer Armee dachte zu dieser Zeit ebenfalls über ein derartiges Fahrzeug nach, und aus Norwegen und aus Argentinien kamen ähnliche Wünsche. Da fand es sich trefflich, dass in Österreich Steyr-Daimler-Puch seinen Haflinger baute. Ein anspruchsloses Gefährt für die Arbeit auf der Alm, und die Mercedes-Männer in der Abteilung Nutzfahrzeuge beschäftigten sich mit einem ebenso frugalen, aber fantastisch talentierten Alleskönner, nämlich mit ihrem universalen Motorgerät, kurz Unimog genannt. Es kamen beide Unternehmen, und damit Haflinger und Unimog, zusammen und über mehrere Vertragsschritte wurden dann 1975 eine gemeinsame Entwicklung und schliesslich der Produktionsbeginn des G-Modells Anfang 1979 im österreichischen Graz beschlossen. Auf dem Programm standen nicht mehr und nicht weniger als Zeugung und Geburt des nach Ansicht vieler Experten weltbesten Geländewagens. Dass sich daraus eine Legende der Kontinuität und des Könnens entwickeln sollte, ahnte damals natürlich noch niemand. Ebenso wenig war klar, dass der G direkt in die Entwicklung eines Lebensgefühls hinein beschleunigte, das ihn zu einem Fahrzeug der Verehrung, fast der Mystifizierung, machen sollte. Die Freizeit- und Drittwagen-Gesellschaft schien auf den G geradezu gewartet zu haben.
Heute, im späten Jahr 33 nach der ersten Auslieferung eines G-Modells, gibt es noch immer keine Spuren von Müdigkeit im Umfeld dieses Autos. Vor zehn, zwölf Jahren kamen zum wiederholten Male Gerüchte auf, mit dem G könnte es nun doch allmählich zu Ende gehen. Mercedes baute eine Flottille flotter Geländegänger auf der Basis der M-Klasse auf und der alte Kasten mit seinen Kanten wirkte immer störrischer und irgendwie auch sturer. Und doch gleichzeitig wie eine lieb gewordene Vitrine der Erbtante, die darin ihr Silber aufbewahrte. Jürgen Hubbert, in jener Zeit Chef der Personenwagensparte von Mercedes-Benz, sagte damals gerne, man werde die G-Klasse so lange bauen, wie sich Käufer dafür fänden. Daran hat sich bis in die Gegenwart nichts geändert. Insgesamt wurden bis jetzt etwa 220 000 Exemplare gefertigt, und die meisten davon sind noch «still going strong.»
Zur aktuellen Modellfamilie Jahrgang 2012 gehören drei Versionen, denen eine gewisse Normalität anhaftet, und zwei Varianten, die für extraterrestrische Regionen geeignet sein könnten. Es gibt den G350 Bluetec und den G500, beide mit langem und den G500 auch als Cabrio mit zeltähnlichem Verdeck und kurzem Radstand. Über diesen Versionen und damit quasi in den wolkigen Abteilungen der Reichsten und Schönsten halten sich die Ableitungen des zu Mercedes gehörenden einstigen Tuning-Unternehmens AMG auf, deren Biturbomotoren mit acht oder zwölf Zylindern für Leistungen sorgen, die manchen Zeitgenossen nicht ganz zu Unrecht beinahe als apokalyptisch anmuten. Eine weitere Version ist für Profis jedweder Ausrichtung geplant: Der G300 Professional ist frei von den Glitzer- und Glamour-Elementen der AMG-Abkömmlinge; Quellwasser-Robustheit statt Prosecco-Lifestyle definiert diese Variante, und wer beim Betreten ihres schlichten Führerstandes aufmerksam schnuppert, wird mit dem Hauch von Männerschweiss konfrontiert. Und zwar auch in den flammneuen Exemplaren. Aber das mag eine Täuschung der überreizten Sinne sein.
Die Geburtsentscheidung, den besten Geländewagen zu bauen, führte zunächst nur zu technischen Konsequenzen. Diese sollten so ausgelegt sein, dass der G nicht nur jenseits von Asphalt vorankam, sondern auch für geschmeidige Reisen komfortverwöhnter Passagiere zu taugen hatte. Fahr- und Federungskomfort sollten mit jenen in einem Limousinen-Mercedes vergleichbar sein. Mit hohem Aufwand wurden diese Ansprüche erfüllt, und die Forderungen verwöhnter Kundschaft konzentrierten sich immer deutlicher auf Komfort und Leistung. Deshalb wurden die beiden Startbaureihen 460/461 zum Ende der achtziger Jahre in den Typ 463 überführt, der fortan mit permanentem Allradantrieb (zuschaltbarer 4×4-Antrieb wie bei 460/461 konnte nicht mit ABS arbeiten) für eine exklusive Kundschaft sorgte. Technisch hielt sich der G mit drei (!) sperrbaren Differentialen, mit seinem Leiterrahmen und mit seiner passiven Sicherheit ohnehin an der Spitze der Offroad-Bewegung.
Zu unserer Verabredung kommt die aufrechte Legende im jüngsten Kleid nach der Renovierung. Schon der erste Blick zeigt: Der G hat nichts von seiner Urtümlichkeit und der Orientierung seiner Eigenschaften am grösstmöglichen Hindernis verloren. Auf den vorderen Radhäusern sitzen noch immer jene faustgrossen Blinker, mit denen man auch havarierten Seeleuten im Sturm den Weg weisen könnte. Und die Türgriffe wirken, als könne man das gesamte Auto daran aufhängen. Mit einem metallischen Knacken öffnen die Portale, und sie schliessen mit der Endgültigkeit der Tore eines Sanatoriums. Das Einsteigen ist eine kleine Bergtour, und wer dann Platz genommen hat, lebt und regiert in einem Hochsitz auf der Jagd nach den Reisezielen dieser Welt. Dafür gibt es jeden Komfort, der in einem Auto zu haben ist. Und trotzdem herrscht die Anmutung einer Einfachheit, die allerdings nicht auf die Sparsamkeit des Mangels zurückblickt, sondern mit steigenden Ansprüchen ihren Inhalt erweiterte, ohne die Funktionalität verloren zu haben. Daran rütteln auch die mit der jüngsten Überarbeitung eingezogenen Displays und Zierteile nichts. Alles bleibt besser im G und alles bewegt sich im G ein wenig schwerer: Die Drucktasten rufen nach kräftigen Daumen, das Volant prüft den Griff der Fäuste und alles wirkt wie für die Ewigkeit genäht, gestichelt, geschraubt, gefräst und gefügt. Solidität zum Anfassen. Materialgüte als optische Streicheleinheit. Verwöhn-Aroma für die Fingerkuppen. Ein Leder wie der geschmeidige Pfotenballen des tapferen Hundes. Die Sitzposition ist nicht viel niedriger als in einem Truck und der kabinenähnliche Aufbau ist ein Abteil zum mobilen Wohnen. Ein Planwagen mit festem Dach und steil stehenden Scheiben. In der Einsamkeit der Wüste führen mehrere G-Fahrer ihre Gefährte zur Wagenburg zusammen.
Andere Geländewagen ignoriert der G-Fahrer gerne. Alles Untertanen. Das gilt auch für die Leistung. Anfänglich hatte Mercedes hier mit schmalbrüstigen Dieseln zu tief gestapelt; 94 PS waren das Existenzminimum, aber nicht ausreichend für geschmeidiges Fahren auf dem Weg ins Skigebiet geeignet. Doch dann kamen schnurrige V8 und dickere Diesel mit absolut fettem Drehmoment und (relativ) magerem Durst. Und jetzt brodeln unter der kantigen Haube reinrassige Hochleistungs-Sportmotoren. Vielleicht kann man sie lieben, wenn man ein reicher Russe ist, sein Vermögen mit Wodka gemacht hat und hinter kugelsicheren Scheiben leben muss. Für den Genuss des G genügt ein sanfter Diesel wie der im 350 Bluetec. Dessen V-Sechszylinder hat ein Drehmoment wie eine Winternacht am Fusse des Matterhorns, und wer auf ihn hört, der kann die alten Stories von Niemals-Aufgeben und Immer-Durchkommen für die Kinder und Kindeskinder bewahren – so wie den ganzen G.